Der Felssturz bei Kestert vom 15. März 2021
Am 15. März 2021 kam es etwa 500 m südöstlich der Ortslage von Kestert zu einem großen Felssturz, bei dem die am Hangfuß verlaufenden Bahngleise teilweise verschüttet wurden. Die Ursache hierfür ist die Kombination aus der steilen Geländeform, der ungünstigen Raumlage von Trennflächen im Fels und von natürlichen Prozessen, die zu einem Verlust der Verbandsfestigkeit führten. Erschütterungen des Bahn- und Straßenverkehrs hatten hierbei keinen Einfluss.
Ereignis
Der Felssturz südöstlich von Kestert weist ein für das Mittelrhein-Gebiet außergewöhnlich großes Volumen von schätzungsweise 10.000 – 15.000 m³ auf. Hier kam es zu dem Abgleiten eines großen Gesteinspaketes, das sich bei dem Sturz in zahllose Blöcke und Steine zerlegt hat. Vor der Beräumung der Sturzmassen müssen zunächst die noch oberhalb des Sturzkörpers locker im Felsverband hängenden Platten und Kluftkörper beseitigt und/oder fixiert werden.
Geologie
Im Rahmen der Gebirgsbildung wurden die im Meerestrog der variskischen Geosynklinale abgelagerten feinkörnigen Sedimente intensiv gefaltet, geschiefert, entlang von Störungen versetzt und geklüftet sowie schwach metamorph überprägt. Dadurch entstand ein natürliches intensiv verzweigtes Inventar von Trennflächen und Klüften im Gesteinskörper. Durch das Einschneiden der Gewässer wurden sie an den Talflanken durch die fehlende „Einspannung“ druckentlastet und einer intensiven Verwitterung ausgesetzt.
Nach den Angaben der geologischen Karte des Mittelrheins (FRANKE 1998) gehören die Felssturzmassen den Bornhofen-Schichten des Unterdevons an. Diese bestehen aus einer Wechselfolge von Ton- und Siltschiefern mit eingeschalteten Quarziten. Die etwa 400 Millionen Jahre alten Gesteine gehören dem Rheinischen Schiefergebirge an. Die Schichten besitzen im Mittel ein Südwest-Nordost-Streichen. Im Bereich des Felssturzareals weisen sowohl die Schichtung als auch die Schieferung ein Einfallen nach Südosten auf.
Das Rheintal ist geologisch gesehen noch sehr jung und der Fluss hat erst im Quartär begonnen, sich in das Rheinische Schiefergebirge einzuschneiden. Dieser Prozess wurde durch die zeitgleiche Hebung des Mittelrheingebietes gesteuert. Das heutige Mittelrheintal mit seinen steilen Talflanken stellt somit ein Durchbruchstal dar.
Ursachen des Felssturzes
- die steile Geländeform (Topographie),
- die ungünstige Raumlage verschiedener geologischer und tektonischer Trennflächen im Verhältnis zueinander und zur Topographie und
- der Einfluss natürlicher, exogen-geodynamischer Prozesse.
Verschiedene Trennflächen, wie Schieferung/ Schichtung sowie Klüfte/Störungen fallen hangabwärts ein. Durch den Verschnitt der Trennflächen in Verbindung mit einem hohen Durchtrennungsgrad werden große Felsplatten und Kluftkörper aus dem Verband gelöst. Wenn dann zusätzliche Faktoren, wie die Witterung (insbesondere Frost), in den Fels eindringende Niederschläge oder auch Wurzeln von Sträuchern und Bäumen für eine zusätzliche Auflockerung und Verwitterung sorgen, verringert sich die Verbandsfestigkeit bis irgendwann die haltenden Kräfte überschritten werden. Dabei ist der Zeitpunkt des Felssturzes am Ende des Winters typisch
Dabei handelt es sich um anhaltende Prozesse. Das heißt, dass an entsprechenden Steilhängen mit ungünstigen geologischen/tektonischen Voraussetzungen immer wieder entsprechende Steinschläge und Felsstürze auftreten. Tatsächlich sind für den Ort des aktuellen Felssturzereignisses im Archiv bzw. der Rutschungsdatenbank des LGB weitere Felsstürze aus den Jahren 1931 und 1962 dokumentiert. Hieraus resultiert ein Bedarf an Überwachung und Sicherung entsprechender Stellen.
Prüfung des Einflusses von Erschütterungen des Bahnverkehrs
Nach dem Felssturz in Kestert wurde von verschiedenen Seiten ein möglicher Zusammenhang mit den Erschütterungen des Bahnverkehrs benannt. Zur Überprüfung dieses Themas haben das Landesamt für Geologie und Bergbau sowie das Landesamt für Umwelt bereits im Jahr 2013 gemeinsam entsprechende Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind in dem Artikel von WEHINGER & KATTLER (2014) (LINK zum PDF) sowie auf der Homepage des LGB dokumentiert. Es folgt eine Zusammenfassung:
Die Erschütterungsmessungen erfolgten in Wellmich nur etwa 3 km entfernt vom aktuellen Felssturz bei vergleichbarer geologischer und topographischer Situation. Dabei sind in der näheren und weiteren Umgebung zahlreiche Steinschläge und Felsstürze dokumentiert
Die Messpunkte wurden entlang von zwei Profilen senkrecht zur Bahntrasse so ausgewählt, dass die Erschütterungen in Abhängigkeit von der Entfernung der Bahntrasse und dem Untergrund (Lockergestein, Festgestein, Bauteile) ausgewertet werden konnten. Für 33 Messungen à 3 Messpunkte liegen Messergebnisse vor.
Im Ergebnis konnte kein ursächlicher Zusammenhang zwischen verkehrsbedingten Erschütterungen und Massenbewegungen (Steinschläge und Felsstürze) am Mittelrhein hergestellt werden. Die Auswertung der Messergebnisse ergab, dass rechnerisch ab einer Entfernung von 32 m von der Erschütterungsquelle (Bahntrasse) bereits messtechnisch keine Erschütterungen mehr erfasst werden. Dieses Ergebnis wird wie folgt begründet:
- Schlechte Ankoppelung des Felsens: Die Erschütterungen werden durch die Lockergesteinsunterlagen unterhalb der Gleise sowie die Bettung der Gleise im Schotter und einer darunter angeordneten Planumsschutzschicht abgedämpft.
- Festigkeit des Tonschieferfelsens: Dem anstehenden Tonschiefer ist im unverwitterten Zustand eine hohe Festigkeit zuzuschreiben. Dadurch muss es vor einem Fels¬abbruch in Form eines Steinschlags oder Felssturzes zur Entfestigung durch Verwitterungsvorgänge kommen, um die vollständige Durchtrennung entlang von Trennflächen zu ermöglichen. Bei den Messungen am Fels erreichen die ermittelten Schwinggeschwindigkeiten nicht annähernd die Anhaltswerte der DIN 4150-3.
- Vergleich mit anderen Messungen: Die Ergebnisse der aktuellen Erschütterungsmessungen werden prinzipiell durch entsprechende Messungen des HLUG (HAKENBERG & BENARIK 2011) und des MULEWF (FORST 2012) bestätigt.
- Auswertung der Rutschungsdatenbank Rheinland-Pfalz: Die räumliche Verteilung der in der Rutschungsdatenbank für den Raum St. Goarshausen dokumentierten Massenbewegungen zeigen keine signifikante Häufung entlang der Bahnstrecke. Die Steinschläge und Felsstürze treten ebenso in Nebentälern ohne bahnbedingte Erschütterungen bzw. in größerer Entfernung von den Bahntrassen auf.
Weitere Informationen:
BOCK, B., WEHINGER, A. und KRAUTER, E. (2012): Hanginstabilitäten in Rheinland-Pfalz – Ergebnisse der Rutschungsdatenbank Rheinland-Pfalz.- Mainzer geowiss. Mitt., 40, S. 147-180, Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz, Mainz.
FORST, M. (2012): Erschütterungsmessungen Bahnlinie Mittelrheintal – Messbericht M 4511-01/0312-1 vom 14.09.2012.- 29 S., Ingenieurbüro Schütz, Büro Lahn-Mosel, Brandscheid.
FRANKE, W.R. (1998): Blatt 5910 Koblenz der Geologischen Übersichtskarte 1 : 100.000.- Geologisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Mainz.
HAKENBERG, B. & BENARIK, T. (2011): Lärm und Erschütterungen im Mittelrheintal.- Jahresbericht 2010, S. 83-88, 8 Abb., Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie, Wiesbaden.
LGB (2014): Bahnbedingte Erschütterungen im Mittelrheintal - Untersuchungen des LGB und LUWG zu einem möglichen Zusammenhang zwischen bahnbedingten Erschütterungen und Hanginstabilitäten im Mittelrheintal.
MULEWF (2014): Schienenverkehrslärm.- Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz, Mainz.
WEHINGER, A. & KATTLER, R. (2014): Massenbewegungen im Mittelrheintal – Untersuchungen zum möglichen Einfluss von bahnbedingten Erschütterungen auf die Hangstabilität.- Mainzer geowiss. Mitt. 42, S. 143-166, Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz, Mainz.