Untersuchungen des LGB und LUWG zu einem möglichen Zusammenhang zwischen bahnbedingten Erschütterungen und Hanginstabilitäten im Mittelrheintal

Situation und Aufgabe

Im Mittelrheintal ereignen sich häufig gravitative Massenbewegungen. Meist handelt es sich um Steinschläge und Felsstürze. Daneben treten auch Rutschungen und Muren auf. Von Seiten der Anrainer der Bahnstrecken wurde die Sorge geäußert, dass durch die Erschütterungen des Bahnverkehrs Steinschläge und Felsstürze ausgelöst werden. Zur Prüfung dieses möglichen Sachverhalts haben das Wirtschafts-, das Umwelt- und das Innenministerium Rheinland-Pfalz (MWKEL, MULEWF, ISIM) das Landesamt für Geologie und Bergbau (LGB) in Kooperation mit dem Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht (LUWG) mit einer entsprechenden Untersuchung beauftragt. Die Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst.

Vorgehen und Beschreibung des Untersuchungsgebiets

Übersichtskarte mit den Ereignispunkten der Rutschungsdatenbank des LGB/FSR.
Abb. 1: Übersichtskarte mit den Ereignispunkten der Rutschungsdatenbank des LGB/FSR. Die beiden Messprofile sind im roten Kreis gelegen. Das Felssturzereignis im Bereich der Testfläche entspricht dem von Januar 2012 (Grafik: LGB).
Geländestufe unterhalb der Ausbruchstelle Geländeprofil mit der rechnerischen Simulation
Abb. 2: Geländestufe unterhalb der Ausbruchstelle an Profil 1. Am Rand des Plateaus sind etwa 20 m³ Felsblöcke zum Liegen gekommen (links der Bildmitte) (Foto: WEHINGER).

Die beiden Profile verlaufen senkrecht zur rechtsrheinischen Bahnlinie in einem Abstand von etwa 60 m (Abb. 4). Es wurden entlang der Profile insgesamt  11 Messpunkte (Profil 1: MP 7 - MP 11; Profil 2: MP 1 – MP 6) angeordnet, wobei darauf geachtet wurde, den Einfluss verschiedener Untergrundtypen zu berücksichtigen: Messpunkte auf Bauteilen, auf Lockergestein und auf Fels. Um eine ebene Aufstandsfläche zu erhalten, mussten insbesondere die Messpunkte im Fels vorab präpariert werden.

Die Messungen wurden am 06.08. und 07.08.2013 durch das LUWG durchgeführt (Abb. 5, 6). Hierbei wurden die Schwingungen sämtlicher im Messzeitraum vorbeifahrender Züge erfasst. Für 33 Messungen à 3 Messpunkte konnte eine Auswertung vorgenommen werden. Durch triaxiale Messwertgeber konnten neben der maximalen Schwinggeschwindigkeit als Maß für die Erschütterung auch die Erschütterungen für die drei Richtungen im Raum (x, y, z) bestimmt werden (KATTLER 2013).

Geländeprofil mit der rechnerischen Simulation
Abb. 3: Geländeprofil mit der rechnerischen Simulation des aufgetretenen Felsturzes mit Hilfe des Programms Rockfall. Die Grafik zeigt, dass aus der Ausbruchstelle stammende Steine bis zur Bahntrasse fallen können (Grafik: LGB).
Blick von Südost nach Nordwest auf den Weinberg
Abb. 4: Blick von Südost nach Nordwest auf den Weinberg, in dem das östliche Messprofil ausgelegt wurde. Links im Bild ist das Gebäude des westlichen Profils und der darüber liegende Fangzaun zu erkennen. Im Vordergrund verläuft die Bahnlinie. Die Messprofile erstreckten sich von der Bahntrasse bis zur hangseitigen Felswand (Foto: WEHINGER).
Messpunkt 1
Abb. 5: Messpunkt 1 auf der Betonmauer neben dem Gleis (Bauteil), östliches Messprofil (Foto: LUWG).
Messpunkt 3
Abb. 6: Messpunkt 3 auf einen Felssims im Festgestein oberhalb des Weinbergs, östliches Messprofil (Foto: LUWG).

Zur Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Bahnerschütterungen und Hanginstabilitäten hat das LUWG Schwingungsmessungen entlang von zwei Profilen im Stadtteil Wellmich von Sankt Goarshausen durchgeführt (Abb. 1). Die Profile wurden vom LGB ausgewählt, da hier die Bebauung unmittelbar an die Bahntrasse angrenzt und sich hier im Januar 2012 ein Felssturz ereignete, bei dem ein Wirtschaftsgebäude und ein Garten bzw. Hof beschädigt wurden (Abb. 2). Im Anschluss an den Felssturz wurde für das Gelände eine computergestützte Steinschlagsimulation durchgeführt, bei der eine weitere Gefährdung sowohl der Häuser als auch der angrenzenden Straße und der Gleis-Anlage festgestellt wurde (Abb. 3). Aus diesem Grund wurde ein Steinschlag-Schutzzaun errichtet.

Auswertung

Die Erschütterungsmessungen wurden sowohl nach der Entfernung von der Quelle der Erschütterungen (Gleisanlage) als auch der Art des Untergrundes differenziert ausgewertet. Die Dateninterpretation erfolgte durch das LGB (WEHINGER 2013). Zur Risikoabschätzung wurde bei jedem Messpunkt die maximale Schwinggeschwindigkeit mit dem Abstand zum Bahngleis korreliert. Die maximale Schwinggeschwindigkeit entspricht dem Maximalwert sämtlicher Messrichtungen (Abb. 7). Um die Werte besser einordnen zu können, wurde das Untergrundmaterial der Messpunkte (Bauteil, Lockergestein, Festgestein) berücksichtigt.

Anschließend wurden die Messergebnisse in Bezug zur DIN 4150-3 gesetzt, welche Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit nennt, bei deren Einhaltung Schäden an Bauwerken ausgeschlossen werden. Bei Überschreitung der Anhaltswerte sind Schäden je nach Gebäudezustand möglich. In der Risikobewertung wurden Anhaltswerte für normale Wohngebäude (5 mm/s) und erschütterungsempfindliche Gebäude (3 mm/s), z.B. unter Denkmalschutz stehend, berücksichtigt.
 

Beispiel für eine Erschütterungsmessung am Messpunkt 1
Abb. 7: Beispiel für eine Erschütterungsmessung am Messpunkt 1 während einer Zugdurchfahrt. Die Grafik zeigt den Schwinggeschwindigkeitsverlauf vi [mm/s] für die drei Raum-Richtungen x, y und z. Die hier ermittelten maximalen Schwinggeschwindigkeiten bettragen vx = 1,155 mm/s, vy = 0,536 mm/s und vz = 0,372 mm/s (LUWG).

Risikobeurteilung

Die Trendlinie in Abb. 8 verdeutlicht, dass die Anhaltswerte der DIN 4150-3 von 5 mm/s bzw. 3 mm/s bereits nach wenigen Metern Abstand zur Bahnlinie unterschritten werden. Die Abb. 9 zeigt die Abnahme der maximalen Schwinggeschwindigkeiten mit zunehmender Entfernung von der Bahntrasse in qualitativer Form.

Die Wohngebäude in 7 m bzw. 12 m Entfernung zur Bahntrasse weisen an den Messpunkten MP 8 und MP 10 mit unter 0,8-0,9 mm/s maximale Schwinggeschwindigkeiten im Bereich unterhalb der Anhaltswerte auf, weswegen an den Gebäuden keine direkten wertmindernden Erschütterungsschäden, wie Risse, zu erwarten sind. Vor allem im Festgestein, in dem Fallprozesse wie Steinschläge und Felsstürze hauptsächlich vorkommen, sind die gemessenen Schwinggeschwindigkeiten von 0,000 bis 0,024 mm/s nicht nachweisbar bzw. sehr gering.

Die Untersuchungsergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen verkehrsbedingten Erschütterungen und Massenbewegungen (Steinschläge und Felsstürze) am Mittelrhein kann auf der Basis der vorliegenden Messergebnisse und Untersuchungen nicht hergestellt werden.

Darstellung der maximalen Schwinggeschwindigkeiten
Abb. 8: Graphische Darstellung der maximalen Schwinggeschwindigkeiten in Abhängigkeit vom Abstand des jeweiligen Messpunktes zum Bahngleis (Grafik: LGB). Auf Basis aller dargestellten Messpunkte wurde eine logarithmische Trendlinie berechnet.
Darstellung der maximalen Schwinggeschwindigkeiten für verschiedene Messungen
Abb. 9: Graphische Darstellung der maximalen Schwinggeschwindigkeiten für verschiedene Messungen entlang der Profile 1 und 2. Die Grafik zeigt die Abnahme der maximalen Schwinggeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung von der Bahn.

Das Ergebnis wird wie folgt begründet:

Schlechte Ankoppelung des Felsens: Die Erschütterungen werden durch die Lockergesteinsunterlagen unterhalb der Gleise sowie die Bettung  der Gleise im Schotter und einer darunter angeordneten Planumsschutzschicht abgedämpft.

Festigkeit des Tonschieferfelsens: Dem anstehenden Tonschiefer ist im unverwitterten Zustand eine hohe Festigkeit zuzuschreiben. Dadurch muss es vor einem Felsabbruch in Form eines Steinschlags oder Felssturzes zur Entfestigung durch Verwitterungsvorgänge kommen, um die vollständige Durchtrennung entlang von Trennflächen zu ermöglichen. Bei den Messungen am Fels erreichen die ermittelten Schwinggeschwindigkeiten nicht annähernd die Anhaltswerte der DIN 4150-3.

Auswertung der Rutschungsdatenbank Rheinland-Pfalz: Die räumliche Verteilung der in der Rutschungsdatenbank für den Raum St. Goarshausen dokumentierten Massenbewegungen zeigen keine signifikante Häufung entlang der Bahnstrecke. Die Steinschläge und Felsstürze treten ebenso in Nebentälern ohne bahnbedingte Erschütterungen auf. Statt auf anthropogene Einflüsse sind die Massenbewegungen in den rheinland-pfälzischen Mittelgebirgen im Allgemeinen eher auf natürliche Verwitterungs- und meteorologische Prozesse zurückzuführen.

Schriften

DIN 4150-3 (1999): Erschütterungen im Bauwesen – Teil 3: Einwirkungen auf bauliche Anlagen.

WEHINGER, A. (2013): Mittelrheintal – Risikoabschätzung für Massenbewegungen – Geotechnischer Bericht zu den Erschütterungsmessungen durch das LUWG. 23 S.; Landesamt für Geologie und Bergbau (LGB), Mainz [unveröff.].

KATTLER, R. (2013): Überprüfung der Schwingungseinwirkungen durch bahnbedingte Erschütterungen am Blütenweg 10 und im bewirtschafteten Weinberg unterhalb der Burg Maus in 56346 St. Goarshausen Stadtteil Wellmich. Bericht Nr. 456, 18 S.; Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht (LUWG), Mainz [unveröff.].
 

Projektstatus

abgeschlossen

Ansprechpartner
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